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    St. Germanshof

    Nationale Grenzen überwinden

    Text von: Pia Nordblom
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    Bobenthal, St. Germanshof und Weiler – diese Ortsnamen waren noch bis in die jüngste Vergangenheit kaum bekannt. Dies hat sich zu ändern begonnen: Die Namen der Orte sind dabei, sich in das deutsch-französische und europäische Geschichtsgedächtnis einzuschreiben. 

    Ein spektakuläres Event im Sommer 1950, ein halbes Jahrhundert nahezu Erinnerungsstille, dann 2007 die Errichtung eines Denkmals, und inzwischen einige Beachtung in Tourismus, Kultur und Wissenschaft – diese Stationen beschreiben die bisherige „Biographie“ dieses Erinnerungsortes im Werden an einem abgelegenen Grenzübergang zwischen Deutschland und Frankreich bei Wissenbourg.

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    Europadenkmal St. Germanshof © Jochen Anthes, Tourismusverein SÜW Bad Bergzabern e. V.

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    Warum dieses Datum und dieser Ort?

    Nach 1945 hatten sich bei vielen Menschen schmerzliche Erinnerungen an die beiden Weltkriege und den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 tief eingeprägt.

    Die Sorge wuchs, als nach Kriegsende aus dem beginnenden Ost-West-Konflikt neue Bedrohungen entstanden.

    In vielen Demokratien Westeuropas blühten daher Bewegungen mit dem Ziel eines engeren Zusammenschlusses der Nationalstaaten in Europa auf. So sah beispielsweise der Schuman-Plan vom 9. Mai 1950 eine Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) vor.

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    Grenzen sollen überwunden werden

    Nur wenig später, am Sonntag, dem 6. August 1950, näherten sich als angebliche Wanderer etwa 300 Studierende aus neun europäischen Ländern sowie einige Professoren und Politiker von beiden Seiten der deutsch-französischen Grenze in Weiler und St. Germanshof, 1949 noch ein Zankapfel zwischen beiden Staaten.

    Vor den Augen der überrumpelten Zöllner zersägte die von der französischen Seite der Grenze kommende Gruppe den hölzernen französischen Schlagbaum und durchquerte mit diesem „Siegeszeichen“ das Niemandsland hin zum deutschen Schlagbaum, den unterdessen auch die zweite Teilnehmergruppe von Deutschland aus erreicht hatte.

    Dieser Schlagbaum auf der deutschen Seite, ließ sich, weil aus Metall, von den Akteuren erst mit einiger Kraftanstrengung zerknicken. Die „Grenzstürmer“ entzündeten zwischen beiden Grenzstellen ein Feuer und warfen den hölzernen Schlagbaum hinein.

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    Europa als gesellschaftliches Projekt

    Ihrem Protest am „Ist-Zustand“ Europas setzen sie eigene Zukunftsvorstellungen in Zeichen und Worten entgegen: Unter der Parole „Europa ist Gegenwart“ verlangten sie in einer Proklamation die rasche Umsetzung einer europäischen Einigung durch die nationalen Regierungen Europas.

    Sie forderten die Bildung eines europäischen Bundesstaates mit europäischem Bürgerrecht, Parlament und Regierung sowie ungehinderte Reisemöglichkeiten. Als Hoheitszeichen ihrer Aktion führten sie die Fahne der europäischen Bewegung mit sich – ein grünes „E“ auf weißem Grund.

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    Eine wohlbedachte Aktion

    Was auf den ersten Blick wie ein reichlich spontaner Studentenstreich wirkte, war tatsächlich eine von dem Straßburger Professor Michel Mouskhely sowie dem französischen Sprachlehrer Marcel Mill geleitete Aktion.

    Sie hatten Studenten des Verbandes „Union Fédéraliste Interuniversitaire“ (UFA) für die Teilnahme an der Aktion gewonnen. Finanzielle Unterstützung wurde diesem Protest durch die „Europäische Bewegung“ und das „American Committee on United Europe“ (ACUE) gewährt.

    Die maßgeblichen Verantwortlichen hatten geschickt dafür gesorgt, dass etliche Medienvertreter selbst international bedeutsamer Zeitungen als Augenzeugen das Ereignis vor Ort verfolgten. Mit ihren Berichten transportierten die Journalisten die Protestaktion an diesem entlegenen Ort in die weltstädtischen Medien.

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    Der Bau einer europäischen Gedenkstätte

    Fast sechzig Jahre später kamen am 9. September 2007 am selben Ort viele Menschen zusammen – manche von ihnen waren schon bei den Ereignissen im August 1950 dabei gewesen.

    Im Beisein von deutschen und französischen Politikern weihten sie nun ein Denkmal ein. Es war vornehmlich aus einer privaten Initiative und mit Unterstützung insbesondere des grenzüberschreitenden Zweckverbandes PAMINA und einiger Spender auf den Weg gebracht worden, um an die Europahoffnung der Grenzstürmer im Jahre 1950 zu erinnern. 

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    Die Symbolik des Denkmals

    Zwölf kreisförmig angeordnete Sandsteinstelen umgeben ein in ihrer Mitte liegendes vierteiliges Feuerrondell. Die Anlage wird von drei Fahnen überragt: der europäischen, der deutschen und der französischen. Die Stelen symbolisieren zwölf Sterne. Damit nehmen sie Bezug auf das Zeichen der zwölf (goldenen) Sterne. Betrachter können den Stelenkreis überdies als Zeichen für alle Staaten und alle Menschen in Europa verstehen.

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    Monument européen de St. Germanshof © Jochen Anthes, Association pour le tourisme SÜW Bad Bergzabern e. V.

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    Der Feuerplatz erinnert vordergründig an das Verbrennen der Grenzinsignien im Sommer 1950. In übertragenem Sinne soll er das „europäische Feuer“ in den Herzen der Menschen lebendig halten. Die Fahnen hingegen lassen sich als Zeichen für die deutsch-französische Verbundenheit in einem geeinten Europa lesen. Eine dreisprachige Informationstafel ergänzt diese Erinnerungsstätte.

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    Herbert Breiner (1929-2024)

    Federführend waren der aus Bobenthal stammende Lehrer und Psychologe Dr. Herbert Breiner und seine Mitstreiter des 2003 gegründeten Vereins „Aktionsgemeinschaft Bobenthal-St. Germanshof e. V.“. Inzwischen sind diese lokalen Aktivitäten in die „Vereinigung Citizens for Europe. Europa-Initiative St. Germanshof – Weiler e. V.“ überführt worden.

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    Europa als Zukunftsprojekt

    Eine intellektuelle, bürgerliche Elite überwand im August 1950 im Schwung jugendlicher Begeisterung symbolisch und faktisch die Grenzen des noch bis in die Nachkriegsjahre zwischen Deutschland und Frankreich konfliktbesetzten Gebietes um St. Germanshof. Mit ihrer Aktion lenkten sie die Hoffnung weg von den Belastungen der kriegerischen Vergangenheit auf das noch ungewisse Zukunftsprojekt eines geeinten Europas. Somit kreierten sie ein Gefühlsmoment und „machten“ Europa.

    Dass sich diese Geschehnisse bald sechs Jahrzehnte später im Bau eines Denkmals niederschlugen, mag man als den Versuch begreifen, diese biographisch geprägte historische und emotionale Lebenserfahrung der Hoffnung auf ein geeintes Europa an nachfolgende Generationen weiterzugeben. Die Initiatoren des Denkmals wollten das „europäische Feuer von unten“ am Leben halten.

    Ihr Wunsch, an diesem Ort eine Jugendbegegnungsstätte zu errichten, wurde jedoch noch nicht erfüllt.

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    Pia Nordblom
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